Hoffnungen und Ängste, Zuversicht und Unsicherheit, Egoismus und tiefe Mitmenschlichkeit, Erschöpfung und neuer Mut – die Gefühle und Erfahrungen in diesem Jahr und zum Jahreswechsel sind so unterschiedlich, wie sie es wohl stärker kaum sein könnten, manch einer erlebt eine „Achterbahnfahrt“ zwischen Bangen und Hoffen, manch eine spürt vor allem Bedrückung und Ängstlichkeit, andere wiederum richten sich ínnerlich aus an den hoffnungsspendenden Entwicklungen, besonders im Blick auf die Impfungen, nicht wenige erleben Einsamkeit, Traurigkeit und Trauer um einen Verstorbenen.

Als die Jünger nach dem Tod Jesu Christi am Kreuz von Jerusalem in ihr Dorf Emmaus zurückgehen, sind sie traurig, ratlos, verängstigt; unerkannt geht der Auferstandene an ihrer Seite, begleitet sie, hört ihnen zu, spricht mit ihnen. Und am Ende ihres Weges sagen sie zu ihm: Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. (Lukas 24,29) Das ist Ausdruck ihrer Gastfreundschaft, die den unerkannten Begleiter nicht allein in der Nacht weitergehen, nicht ohne Dach und Speise am Abend lässt. Das ist aber zugleich auch die Bitte all der Menschen, die sich nach Halt in angstvollen Zeiten, nach Begleitung in Traurigkeit, Unsicherheit und Ratlosigkeit sehnen, dann, wenn es dunkel wird und ist um uns und in uns.

Bleib bei mir, das bitten wir die Menschen, die uns nahe und vertraut sind. Bleib bei mir, das werden wir gebeten von ihnen. Ein großes Geschenk ist es, wenn wir ganz und gar leiblich bleiben können, für einen Erschöpften den Alltag besorgen, etwas kochen und die Lieblingsmusik auflegen, für eine Kranke sorgen, einem Sterbenden die Hand halten. Bitter ist es und traurig, wenn wir das nicht können, wie es in diesen Tagen allzuoft geschieht. Bleibe bei uns, das bitten wir Jesus Christus, denn die Nacht ist lang und noch nicht vorbei. Ein altes Gebet in unserem Gesangbuch nimmt diese Worte auf: Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Bleibe bei uns und bei deiner ganzen Kirche. Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt. Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem heilgen Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen. Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes. Bleibe bei uns und allen deinen Gläubigen in Zeit und Ewigkeit. Amen (EG 854)

Unzählige Menschen vor uns haben diese Worte gebetet. Sie sind von ihrer Angst, ihrer Not, ihrer Traurigkeit, mit der sie gebetet wurden, durchzogen und durchtränkt. Aber auch von dem Trost, dem Halt, der Hoffnung, die aus dem Gebet erwuchsen, aus der Bitte um das „Bleiben“ Jesu Christi mitten in allem Schweren und Ungelösten, aus der Erfahrung Seiner Gegenwart, wie sie auch die Emmaus-Jünger machen. Wir können uns diese Worte leihen und mit ihnen bitten: Bleibe bei uns, Herr, bleib bei mir. Und es kann geschehen, daß wir dann auch an dem Trost teilhaben, am Halt und der Hoffnung. Die aus der Gewißheit erwächst, daß Er diese Bitte schon erfüllt hat, vor langer Zeit, und sie sie in jedem Moment aufs Neue erfüllt für uns, für dich und mich, in dem wir Seine Worte hören und fest ins Herz nehmen: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäus 28,20)

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk