„Kyrill“ hieß der legendäre Sturm, der vor dreizehn Jahren über Europa hinweg fegte, das öffentliche Leben kurzzeitig zum Erliegen brachte und in den Wäldern die Bäume zu Hunderttausenden entwurzelte. Der „Sturm“, der jetzt seit Wochen über uns hinwegbraust und tost, hat viele Namen. „Corona“, „Pandemie“, „Kontaktverbot“, „Isolation“, „Einsamkeit“, „Übersterblichkeit“, „Angst“ und so manche andere. Anders als bei „Kyrill“ scheint die Windstärke auch nicht abzunehmen, werden die vielfältigen Verunsicherungen eher stärker, krude Verschwörungstheorien breiten sich auch, Gegner und Befürworter der jeweiligen politischen Schritte stehen sich gegenüber. Und blasen sich den „Sturm der Entrüstung“ gegenseitig ins Gesicht.

Wenn Stürme tosen, kommt es bei Bäumen auf das Wurzelwerk an. Und worin es gründet. Je kräftiger die Wurzeln und je fester das Erdreich, in dem die Wurzeln Halt, Wasser und die lebensnotwendigen Nährstoffe finden, desto größer die Chance, daß ein Baum einen Sturm übersteht. Auch bei uns Menschen kommt es auf unsere Wurzeln an und worin sie Halt finden. Schon im Alten Testament wird das Bild des Baumes auf uns Menschen übertragen: Wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, so ist der, der seine Zuversicht auf Gott setzt und sich an ihm und seinen Worten orientiert, so heißt es im 1. Psalm. Gott und seine Worte sind also der Wurzelgrund, in dem wir Halt finden können. Wenn der eine dies sagt, der andere das, und wir erleben, daß wir uns innerlich hin- und hergezerrt fühlen von Meinungen, Unsicherheiten, Erwartungen.

Im Epheserbrief des Neuen Testaments wird der Grund, in dem unsere Wurzeln Halt finden, mit einem einzigen Wort bezeichnet: Liebe. Ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet. (Eph 3,17) In der, die uns Gott gezeigt hat durch Jesus Christus, der das Bild der Liebe Gottes unter uns ist. Und in der, die sein Heiliger Geist als größte der Kräfte in uns wirken will. Vielleicht können wir uns einfach vorstellen, daß unsere Wurzeln direkt in die Liebe hineinreichen – und wie ein Baum durch seine Wurzeln Wasser und Nährstoffe in seine Adern zieht -, so gelangt die Liebe in unsere Seele, unseren Geist, unser Herz. Und wir können sie weitergeben durch das, was wir sagen, tun, wie wir miteinander umgehen, gerade auch in den Auseinandersetzungen und Herausforderungen dieser Tage.

Wenn unsere Wurzeln festen Halt in dem Wurzelgrund der Liebe Gottes haben, dann heißt das auch: Wir wissen um unseren Wert als geliebte Kinder Gottes, der an nichts sonst hängt, auch nicht an Alter, Gesundheitszustand und Systemrelevanz. Wir können standhalten, widerstehen, wo diese Einsicht infrage gestellt wird, wir können einstehen dafür, daß die Liebe das Maß aller Dinge ist und bleibt. Wenn unsere Wurzeln festen Halt haben, dann können wir auch anderen Halt geben. Und weitersagen: Ihr seid in der Liebe Gottes eingewurzelt. Mögen die Stürme noch so tosen.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk