Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und Jesus Christus, unserm Herrn

Liebe Gemeinde,

Bilder und Nachrichten von eingestürzten Häusern, von den Wassermassen verschluckten Straßen und Brücken, von kleinen Flüßchen, die zu reißenden Strömen werden. Von über 130 Menschen, die ihr Leben in den Fluten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verloren haben, von unzähligen Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, kein Dach über dem Kopf mehr haben, in den abgeschnittenen Orten oft nicht einmal mehr das Elementarste: Essen und Wasser. Erinnerungen werden wach an das Elbhochwasser, bei den Älteren vielleicht auch an die Sturmflut in Hamburg. Großes Mitgefühl und eine ebenso große Hilfsbereitschaft zeigen sich allerorten. Der Sprecher der Feuerwehr in Bergisch-Gladbach erzählt: „Wir haben gesehen, wie eine Familie mit einem Handkarren durch eine Straße gezogen ist und einfach Suppe an alle verteilt hat“. Und als die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner über soziale Medien um Unterkünfte für Evakuierte bat, gab es kurze Zeit später bereits über 600 konkrete Angebote. Aus ganz Deutschland kommen Hilfsangebote, wohl kaum jemanden gibt es, der die Not all derer nicht wahrnimmt, die dort buchstäblich innerhalb von Stunden verloren haben, was sie zum Leben brauchen.

Von der wunderbaren Erfahrung, dass alle bekommen, was sie zum Leben brauchen, hören wir im Evangelium des heutigen Sonntags, der Speisung der 5000 durch Jesus. Auch sie fängt zunächst schlicht damit an, dass wahrgenommen wird, was die Menschen brauchen. Im Matthäusevangelium sind es die Jünger Jesu, die sehen, dass die vielen, die gekommen sind, um Jesus zu hören, nun hungrig geworden sind. Im Johannesevangelium ist es Jesus selbst, der sieht, daß viel Volk zu ihm kommt, und Philippus fragt: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? Ob nun die Jünger oder Jesus selbst: Die Stillung der Not, wie auch immer sie konkret aussieht, beginnt da, wo sie wahrgenommen wird. So wie es jetzt allenthalben wunderbarerweise geschieht.

Jesu Jünger sind offensichtlich überrascht davon, dass Jesus nicht die Menschen wegschickt, damit sie sich auf welche Weise auch immer mit dem Lebensnotwendigen selbst versorgen. Sondern dass er sie in die Pflicht, in die Verantwortung nimmt. Gebt Ihr ihnen zu essen, so sagt Jesus es im Matthäusevangelium. Die Reaktion der Jünger ist abwehrend. Wir haben doch nicht genug. Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme. Wie sollen davon alle satt werden? Und einer der Jünger sagt: Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele?

Wenn ich die Bilder aus dem Westen Deutschlands sehe, frage ich mich tatsächlich weniger, ob das, was ich geben kann, wirklich hilft, meine Spende dazu beiträgt, um die Not zu lindern. Davon bin ich überzeugt, dass in kürzester Frist große Spendensummen zusammenkommen und zur Unterstützung und Hilfe beitragen werden – und mein Anteil mithilft. Zudem leben wir in einem Land, in dem es im Notfall auch eine Vielzahl öffentlicher Hilfen gibt. Ob mein Beitrag etwas helfen kann, wenn ich an das Siebtel der Weltbevölkerung denke, das dauerhaft keinen Zugang zu sauberem Wasser und zu ausreichender Nahrung hat, könnte mir dann schon fraglicher sein. Und genauso könnte ich mich fragen, ob mein Anteil zur Verringerung der Folgen des Klimawandels nicht nur der buchstäbliche Tropfen auf den heißen Stein ist. Und diese Frage stellt sich im Blick auf das Hochwasser im Westen Deutschlands mit Macht, denn es sind wohl nur noch einige wenige Unbelehrbare, die weiterhin einen Zusammenhang zwischen dem menschengemachten Klimawandel und den Extremwetterereignissen leugnen. Also frage ich mich: Welchen Einfluß habe ich als einzelne auf den Klimawandel, wenn ich das Auto, so oft es geht, stehen lasse und Bahn oder Rad fahre, kein Fleisch esse, nicht mehr fliege, meinen Lebensstil überprüfe, die Komfortzone nicht immer, aber immer öfter verlasse? Wie schnell kann es zu sein, dass ich resigniere und sage: Sollen doch erst einmal die Wirtschaftskonzerne, die Politik, die EU? Und mich fein aus der Verantwortung ziehe.

Jesus sieht nicht darauf, dass es wenig ist, was für alle zur Verfügung steht. Auch nicht darauf, dass es ein Kind ist, das die fünf Gerstenbrote und zwei Fische da bei sich hat. Also ein kleiner Mensch ohne große Bedeutung in der Gesellschaft, damals noch mehr als heute, ohne Macht oder Einfluß. So wie die allermeisten von uns. Das, was der Junge da bei sich hat, ist Jesus genug. Lasst die Leute sich lagern, sagt er. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. Und sicher noch mal die gleiche Zahl Frauen und Kinder. Der Blick Jesu ist nicht auf das Zuwenig, auf die Grenzen des Möglichen gerichtet, sondern auf das Genug, auf die Möglichkeiten, die in den fünf Gerstenbroten und zwei Fischen liegen. Und eben nicht sofort erkennbar sind. Sein Blick ist darauf gerichtet, was sein kann, wenn das, was da ist, geteilt wird. Unter seinem Blick wird aus dem Mangel die Fülle. Unter seinem Dank wird aus dem bißchen, was der Junge bei sich hat, Speise für 5000 und mehr Menschen. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. Und es reicht tatsächlich für alle. Und sogar noch darüber hinaus. Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.

Jesus lehrt uns den Blick auf das Genug und auf die Möglichkeiten, die auch im scheinbar Kleinen liegen, die auch wir scheinbar Kleinen haben, wenn wir geben, was wir haben. Er lehrt uns auch den Dank an Gott für das, was wir haben, und schiene es uns auch wenig. Wenn ich dankbar auf das sehe, was ich habe an Materiellem, kann ich es als Reichtum und Fülle wahrnehmen. Und wo mir das möglich ist, kann ich getrost abgeben und auch mit weniger leben, anders leben, verzichten auf manchen gewohnten Komfort, damit die, die jetzt nicht haben, was sie zum Leben brauchen, genug bekommen. Ob hier in unserem Land oder weit weg, dort wo 690 Millionen Menschen dauerhaft hungern. Und ich kann abgeben von dem, was ich bislang für meines erachtete, von meinem gewohnten Lebenstil, damit auch die kommenden Generationen auf dem uns anvertrauten Planeten noch haben können, was sie zum Leben brauchen. Wir sind die Generation, an der sich das entscheiden wird.

Das Brot, mit dem Jesus am See Genezareth die Menschen satt macht, steht für alles, was wir zum Leben brauchen, Nahrung, Kleidung, Obdach. Das Er uns gelehrt hat zu beten, Unser täglich Brot gib’ uns heute, zeigt, dass es Jesus immer um das Lebensnotwendige für alle geht. Wir bitten nicht nur für uns, in jeder Bitte stecken der Blick auf die anderen, und auch die Verantwortung für sie mit: Gebt Ihr ihnen zu essen. Wir sind gemeint, Du und ich.

Noch ein letztes: Wenn Jesus vom Brot spricht, spricht er immer auch von dem, was unser ganzer Mensch braucht, nicht nur unser Leib, auch unsere Seelen, was wir für ein Leben, sagen wir, in wirklicher Fülle brauchen: Mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Und auf die Bitte der Menschen, die zu ihm gekommen sind: Herr, gib’ uns allezeit solches Brot!, sagt Er: Ich bin das Brot des Lebens.

In der Not ist es entscheidend, dass der leibliche Hunger gestillt wird. Aber aus der Wahrnehmung zu leben, dass es genug ist, was wir haben um abzugeben, dass es auch noch immer genug ist und sein wird, wenn wir mit deutlich weniger leben, dass wir auch als Kleine so viele Möglichkeiten haben, können wir dann, wenn auch unsere Seelen satt sind. Wie die Gerstenbrote des kleinen Jungen und alles andere Materielle, was wir teilen, Lebensmittel für das leibliche Leben sind, so ist der Glaube ein Lebensmittel für unsere Seelen. Nährt uns mit der Erfahrung der Nähe und Gemeinschaft mit Jesus Christus und durch ihn mit Gott, mit Leben im vollen Sinne des Wortes. Wo wir daran teilhaben, können wir erleben, wie aller unser empfundener Mangel, sei es an Materiellem, sei es an Möglichkeiten, zur Fülle wird, wir aus vollen Händen teilen und unser Leben verändern, damit alle genug vom Brot zum Leben haben. In den Notgebieten Deutschlands, in denen der Welt. Jetzt, heute, und auch für die kommenden Generationen.

Wo das geschieht, da ist, so zeigt es Jesus in der Speisung der 5000 uns auch, Gott uns nah: “Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht, und das Wort, das wir sprechen, als Lied erklingt, dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut, dann wohnt er schon in unserer Welt.”
Amen

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk