Wir müssen Abstand halten wie wir es niemals zuvor erlebt haben – und rücken doch näher zusammen. Das ist in allen Ängsten und Unsicherheiten dieser Tage die beeindruckende Erfahrung. Geradezu eine Welle an Hilfsbereitschaft breitet sich aus, Nachbarn kaufen füreinander ein, Pfadfinder bieten Hilfe beim Einkaufen oder beim Ausführen von Hunden an, junge Mitglieder von Vereinen und Parteien genauso. Mit viel Phantasie und geradezu überbordender Kreativität geben Menschen sich gegenseitig Zeichen der Fürsorge und der guten Gedanken, ein freundlicher Kartengruß findet sich im Briefkasten, schöne Fotos, gute Worte, kleine Videos mit einem Gruß, Audiodateien mit tröstlicher Musik werden per Whatsapp verschickt und vielfach geteilt. Sich bei Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn, Kollegen per Telefon zu erkundigen, wie es ihnen gehe, wird auf einmal zur liebevollen täglichen Selbstverständlichkeit. Und an vielen Orten werden auch Versuche unternommen, die nicht aus dem Blick zu verlieren, die besonders unter dem Wegbrechen öffentlicher Hilfsangebote leiden, z.B. durch „kontaktfreie“ Ausgaben von Lebensmitteln durch die Tafeln.

So beängstigend die Herausforderung durch das Virus ist, diese Veränderung des Miteinanders ist im wahrsten Sinne des Wortes wunderbar. Es heißt nicht mehr: Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt, sondern: Wenn wir füreinander sorgen, ist für alle gesorgt. Und wir nehmen wahr, daß wir nicht nur äußerlich aufeinander gewiesen und verantwortlich füreinander sind, sondern auch im tiefsten Sinne verbunden. Der Apostel Paulus hat die Zusammengehörigkeit aller Christen mit dem Bild des „Leibes“ ausgedrückt, in dem alle Glieder einander benötigen. In dem aber auch Leid und Freude eines Gliedes den ganzen Leib betreffen: Wir sind durch einen Geist zu einem Leib getauft..und der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele… Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. (1. Kor 12,13f.26) Daß wir dieses „organische“ Miteinander wahrnehmen, drückt sich in der Verantwortung aus, die wir füreinander übernehmen, in Mitgefühl und Altruismus, in den vielen Zeichen der Verbundenheit. In Italien heißt dieses Miteinander jetzt so schön Distanti ma uniti. Im Deutschen ist das nicht ganz so klangvoll – voneinander entfernt, aber vereint -, aber um nichts weniger tröstlich, berührend (auch das geht ohne Körperkontakt!) und Mut machend.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk