Als Kind war mein Lieblingsadventslied „Morgen, Kinder, wird’s was geben“. Meine Mutter sang es mit mir und abgesehen von dem „geschmückten Kronensaal“, der meine Phantasie besonders anregte, mochte ich besonders die Zeile, in der es heißt: „Zehnmal werden wir noch wach, heissa, dann ist Weihnachtstag“, oder eben dreizehnmal oder viermal. Bei den zweisilbigen Zahlen lässt sich das nicht wirklich gut singen, aber ich hatte beim Singen immer das beruhigende Gefühl, daß die Zeit bis zum ersehnten Tag überschaubar ist, sie sich langsam „herunterzählt“. Das Warten machte mir das schon ein klein wenig leichter, daß es eine Antwort auf die Frage „Wie lange noch?“ gab.

Genau diese Antwort fehlt uns im Moment. Nicht in bezug auf Heiligabend; der ist verläßlich am 24. Dezember. Mit und ohne Corona. Aber wie lange wird es dauern, daß dass unser Leben nicht mehr von der Corona-Pandemie bestimmt ist, wir nicht mehr mit den Ängsten, Sorgen und tiefgreifenden Einschränkungen unseres Lebens leben müssen? „Wir sehen das Licht am Ende des Tunnels”. So sagte es der Vorsitzende des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery, als er sich Ende November zu den Entwicklungen im Bereich der Corona-Impfstoffe äußerte. “Wir wissen nur noch nicht, wie lang der Tunnel ist.”

Schon die ersten Christinnen und Christen kannten sich mit dem Warten aus und mit der Frage „Wie lange noch?“, war doch Jesus Christus nicht, wie sie es schon für die erste Generation der Gläubigen erhofft hatten, als Herrscher und Richter aller Welt zum Ende der Zeit wiedergekommen. Und da lautete das Gebot der Stunde: So seid nun geduldig, Schwestern und Brüder, bis zum Kommen des Herrn. (Jak 5,7) Leichter gesagt als getan, sicher schon damals.

Geduld ist die Kunst des langen Atems. Die Fähigkeit, auch Belastendes, Bedrängendes, Not und Leid auszuhalten, zugleich eigene Aggressionen, Wut und Zorn, Empörung im Zaum zu halten. Dabei aber nicht resignativ die Hände in den Schoß zu legen, sondern bedacht und in Ruhe zu unterscheiden, was gerade seine Zeit hat und was nicht, was ich tun kann und muss und was ich lassen, überlassen muss. Beide Fähigkeiten scheinen mir in dieser Zeit wichtiger denn je zu sein.

Geduld ist sicher eine Übungssache. Zumindest für den, der nicht schon von Natur aus ein gesundes Phlegma hat. Geduld ist eben aber auch eine Gabe des Heiligen Geistes, um die wir alle Tage bitten können. Geduld wächst aus der Liebe, die Gott selbst ist und mit der Er uns erfüllt, wenn wir uns für sie öffnen. Geduld erwächst auch aus dem Vertrauen, daß Gott selbst uns genau so anschaut, geduldig und voller Güte (Psalm 145,8). Wenn wir geduldig sind – mit uns, mit anderen Menschen, auch mit den Ungeduldigen -, dann spiegelt sich darin all das von Gott wider. Dann zeigen sich in einer Welt voller Ungeduld, in der wir das Warten verlernt und die Ruhe verloren haben, Seine Spuren. Und dafür brauchen wir tatsächlich nicht zu fragen „Wie lange noch?“, dafür brauchen wir nicht die Zeit herunterzuzählen. Denn das geschieht in jedem Moment. In Geduld.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk