Jetzt ist es schon wieder so weit. Es dauert nicht mehr lange und das alte Jahr geht in ein neues über, wie die Dämmerung in einen frischen Morgen. Was für ein Jahr liegt hinter uns! Ein Jahr, das vorwiegend geprägt war durch die Pandemie, die uns in unserer Existenz und als Gesellschaft viel abverlangt hat. Ein Jahr, in dem Menschen um die Opfer des Virus trauern, um Personen, die sie dadurch verloren haben. Ein Jahr, in dem vieles Vertraute, Selbstverständliche, Liebgewonnene unmöglich war – im Kern hat uns das verändert. Ein Jahr, in dem das öffentliche Leben heruntergefahren wurde, auch in der Kirche. Ja, in der Rückschau war 2020 nicht unbedingt ein Jahr der freudigen Erinnerungen, sondern wir mussten viel Schweres erfahren und aushalten. Der Abschied fällt daher dieses Mal vielleicht leichter. Mensch, das alte Jahr war nichts, schnell her mit dem neuen, unverbrauchten. Da kann ja nur alles besser werden! Es muss einfach!

Leider ist das neue Jahr kein weißes Blatt Papier, rein und unbeschrieben. Nein, das alte Jahr färbt immer ab, hinterlässt seine Spuren, wie die Abdrücke der Buchstaben des Blattes, das darüber gelegen hat. All die Sorgen und Nöte und Ängste aus dem Vorjahr sind nicht einfach so fort, weggewischt, sondern sie werden auch morgen noch da sein. Die Pandemie ist nicht vorüber, die Infektionszahlen sind weiterhin sehr hoch. Gestern sind auch noch einmal die Todesfälle stark angestiegen. Jetzt am Ende des Jahres wird immer klarer, so schnell werden wir nicht zum gewohnten Alltag zu-rückkehren können. In den USA wurde ein neuer Präsident gewählt und bestätigt, a-ber der alte weigert sich das Ergebnis anzuerkennen. Der tiefe Riss, der sich durch die amerikanische Gesellschaft zieht wird nicht über Nacht heilen. Auf der großen Weltbühne wird es weiterhin Katastrophen und Kriege geben, dazu die privaten Schicksalsschläge und Dramen. Dagegen können wir gar nichts machen.

Doch, Halt! Wir können! Wir können dieser bitteren Lebenswirklichkeit unsere Hoffnung und unseren Glauben an den mitfühlenden Gott entgegenstellen, wie wir es als Christen immer getan haben. An Weihnachten, wenn wir von der Geburt Jesu Christi erzählen – Gott der als Mensch in die Welt kommt und Licht den Menschen, bringt, die buchstäblich in Finstern stehen, gesellschaftlich und seelisch. Zu Ostern, in dem Gott sich selbst am Kreuz dem Abgrund des Todes überantwortet, um uns zu zeigen Auferstehung, gelingendes Leben bricht sich immer wieder Bahn. Und an Silvester, wenn uns die Worte aus dem zweiten Mosebuch daran erinnern: „Und Gott zog vor den Israeliten her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.“
Die Israeliten haben gerade die traumatische Erfahrung der Sklaverei hinter sich. Das ganze rote Meer liegt hinter ihnen und Ägypten. Aber nun irren sie unter Strapazen in der Wüste umher. Der Hunger, der Durst, die Erschöpfung – ihre Not ist groß. Schon wieder, eine neue hat nur die alte ersetzt. Und trotzdem in all ihrer Bedrängnis sind sie nicht allein, sondern Gott ist die ganze Zeit an ihrer Seite, schickt ihnen sichtbare Zeichen. Er macht ihnen frischen Mut, gibt ihnen neues Vertrauen. Gott kann in die trostloseste Not hinein Halt geben. Davon zeugt jenes bekannte Gedicht Dietrich Bonhoeffers, das er in seinem letzten Brief aus dem Gestapo-Keller in der Prinz-Albrecht Straße an seine Verlobte schrieb: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, – so will ich diese Tage mit euch leben, und mit euch gehen in ein neues Jahr.“

Ja, jetzt ist es schon wieder so weit. Es dauert nicht mehr lange und das alte Jahr geht in ein neues über. Es kommt nicht wie eine jungfräuliche Schneedecke oder ein weißes Blatt Papier. All die Sorgen und Nöte vom Vorjahr werden darin auch weiterhin sichtbar sein. Neben Freude wird es wieder viel Trauer geben und Schmerz und Angst. Aber Gott ist bei uns. Seine Liebe trägt uns durch alles. Er geht mit uns hinein in ein neues Jahr. Gott segne und behüte dich. Er lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir seinen Frieden. Amen.

Pastor Felix von Gehren-Leweke