„Haben Sie so etwas schon einmal gemacht?“ Mit dieser Frage werde ich begrüßt, als ich heute morgen vor dem St. Josef Seniorenheim der Caritas ankomme. In Nicht-Corona-Zeiten feiern wir am vierten Mittwoch eines jeden Monats dort einen evangelischen Gottesdienst. Im Andachtsraum. Heute hat Klaus Schneider, der uns musikalisch begleitet, sein Keyboard im Innenhof des Heims aufgebaut, der Haustechniker hat mir ein Mikro hingestellt. Einige Bewohnerinnen trauen sich knapp vor die Tür, in großem Abstand, etliche sitzen innen im großen Flur oder im Essraum. Nein, so etwas habe ich tatsächlich noch nie gemacht: Gottesdienst von draußen nach drinnen. Corona macht es nötig. Corona macht es aber auch möglich. Daß wir neue Wege suchen, wie wir uns begegnen, füreinander da sind, zusammen Gottesdienst feiern.

Auf neuen Wegen sind wir alle unterwegs, keinesfalls nur beim Feiern der Gottesdienste. Den BewohnerInnen des Heims fehlen die regelmäßigen Besuche, manche tragen schwer an den Veränderungen, demenzkranke Menschen können das, was passiert, oft gar nicht mehr einordnen. Die MitarbeiterInnen wissen um ihre große Verantwortung, loten immer wieder aus, was möglich ist und was (noch) nicht wieder sein darf. In all dem braucht es etwas, was Halt gibt und Sicherheit. Wir singen vertraute Lieder, Paul Gerhardts „Befiehl du deine Wege“, und wir beten den 23. Psalm: Der Herr ist mein Hirte. Dreitausend Jahre alte Worte, in denen die Höhen und die Tiefen eines Menschenlebens eingezeichnet sind, in denen wir alle unsere Lebenserfahrungen, die guten und schweren, die Fülle und den Mangel, die Freude und die Not, die Zuversicht und auch die Angst wiederfinden können. Und die die vier Worte enthalten, von denen der Philosoph Immanuel Kant sagte, er habe in keinem Buch so wesentliche Worte gefunden wie diese: Du bist bei mir, Gott.

Etliche der Frauen und Männer, die heute zusammen Gottesdienst gefeiert haben, haben den Psalm auswendig gebetet. Solche alten vertrauten Worte zu haben, im Herzen, by heart, kann inneren Halt geben, Kraft und Ruhe, gerade wenn sich so viel ändert um uns herum, unvertraut, bedrängend und beängstigend ist. Versuchen Sie es einfach einmal: Beten Sie einen Psalm, den Sie vielleicht als Konfirmandin gelernt haben, laut oder leise, zu Hause oder beim Anstehen vor dem Geschäft. Oder lernen Sie einen auswendig: Den 23. oder auch den 121. Psalm: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Mein Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Alte Worte als fester Halt auf neuen Wegen. Alte Worte vom festen Vertrauen: Du bist bei mir, Gott neu gesprochen, neu gebetet, neu bewährt.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk