30. April 2020 · Kategorien: Andacht

Zwei Bilder waren gestern in der „Norddeutschen Rundschau“ abgedruckt, die mich sehr beschäftigt haben. Auf dem einen sind schön bemalte und beklebte Steine zu sehen, die Bewohnerinnen und Bewohner im Klosterforst an einer Straße entlang hingelegt haben. Als Zeichen der Verbundenheit und des Mutmachens und auch, weil es einfach Freude macht, sie zu gestalten. Ich musste an den gern auf Postkarten abgedruckten Ermutigungssprich denken: „Auch aus Steinen, die Dir in den Weg gelegt werden, kannst Du Schönes bauen.“ Diese Steine stehen für eine Weise des Umgangs mit der Corona-Pandemie, in der wir versuchen, daraus trotz allem Gutes entstehen zu lassen, „das Beste daraus zu machen“. Bei dem einen oder anderen eventuell auch mit der Zuversicht dahinter, die Dietrich Bonhoeffer so formuliert hat: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“

Das zweite Bild steht unter der Überschrift „Der Enkel am Gartenzaun“: Eine Großmutter sitzt hinter einem hohen Zaun, der Enkel und seine Mutter davor auf einer Decke. Sie lachen sich an, der Enkel streckt die Hände zu seiner Oma aus. Das könnte ein schönes Bild sein, auch unter dem Motto stehen: „Wir machen das Beste draus.“ Aber das Bild trügt. Die Großmutter auf dem Bild ist meine Freundin. Sie lebt in einem Hamburger Seniorenheim, darf seit dem dem 14. März nicht mehr hinaus – und Besuch ist eben nur auf diese eingeschränkte Weise möglich, die der Leiter des Heims immerhin seit einigen Tagen erlaubt. Meine Freundin weint viel, hat Depressionen, mag nicht essen. Nur diese Momente des Besuchs und die Telefonate mit ihren anderen Kindern und mit Freundinnen geben ihr ein wenig Halt. Für viele andere Bewohner von Seniorenheimen ist nicht einmal das möglich.

Die Schutzmaßnahmen sind verständlich. Zu groß ist die Angst der Betreiber von Seniorenheimen, daß Corona sich in ihrem Heim ausbreitet. Mit mehreren Leiterinnen habe ich in den letzten Wochen gesprochen; bei einer Infektion in ihrem Heim gäbe es vermutlich sofort Schuldzuweisungen, erzählen sie, von der eigenen Wahrnehmung, eventuell an irgendeiner Stelle keinen ausreichenden Schutz gewährleistet zu haben, ganz abgesehen. Und doch stellt sich die Frage: Wann ist eine Grenze überschritten? Wann gelingt die Abwägung zwischen notwendigem Schutz vor Corona und mittlerweile erheblicher gesundheitlicher, psychischer und physischer, Beeinträchtigung vieler Menschen durch die Schutzmaßnahmen selbst nicht mehr? Wenn genau die, die besonders geschützt werden sollen, besonders leiden? „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, heißt es bei Paulus (2. Kor 3,17). Auch die Freiheit, diese Fragen zu stellen.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

28. April 2020 · Kategorien: Andacht

Je länger die Corona-Krise andauert, desto größer scheinen mir Mißtrauen und Ungeduld zu werden. Gehen die Einschränkungen nicht doch zu weit, können sie nicht schneller und weitgehender zurückgenommen werden? Dauert dieses so andere Leben jetzt noch Wochen, Monate oder gar bis ins kommende Jahr? Diese Fragen beherrschen unsere Gesellschaft, die Politik; besonders die Wirtschaft drängt auf schnellere Lockerungen. Ich frage mich: Wann endlich kann ich meinen Vater wieder besuchen, wann meine Enkelkinder in den Arm nehmen? Wann können wir wieder Gottesdienst feiern? Die meisten von uns fühlen sich wohl, wenn sie Dinge und Geschehnisse vorhersehen, beeinflussen, kontrollieren können. Das ist uns in dieser Zeit auf ungekannte Weise aus der Hand genommen. Unter diesem „Kontrollverlust“ leiden viele Menschen sehr.

Eine Tugend wird angesichts dieser Situation immer wieder „beschworen“: die Geduld. Sie ist eine zentrale Tugend keinesfalls nur, aber besonders auch im Christentum. Seid geduldig gegen jedermann, heißt es im 1. Thessalonicherbrief und im Hebräerbrief kurz und knapp: Geduld aber habt ihr nötig. (Hebr 10,36) Wie wahr. Wo Martin Luther mit „Geduld“ übersetzt, steht im griechischen Urtext meistens ein Wort, das wörtlich „Darunterbleiben“ heißt. Geduld ist danach also die Haltung, die uns unter etwas, eben auch Schwerem und Leid, bleiben lässt, aushalten, standhalten. Bemerkenswerterweise wird „Geduld“ dabei fast immer in einem Atemzug mit „Hoffnung“ genannt. Geduld können wir bewahren, wenn und weil wir Hoffnung auf ein Danach haben.

Geduld kann man sicher lernen. Aber das ist nicht so leicht. Ich kenne viele Menschen, die sich mit der Geduld schwer tun, mich selbst eingeschlossen. Geduld ist für christliches Verständnis auch nicht in erster Linie eine dem Menschen durch Übung zur Verfügung stehende menschliche Fähigkeit, sondern ein Wesensmerkmal Gottes, Ausdruck seiner Haltung uns gegenüber: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte (Ps 103,8). Und wenn wir als Menschen Geduld haben, ist das im letzten nichts anderes als eine Gabe von Gott, eine Teilhabe an seinem Wesen, das Wirken seines Heiligen Geistes in uns: Die Frucht aber des Geistes ist… Geduld..., schreibt Paulus (Gal 5,2). Um diese Gabe zu bitten, uns für sie öffnen, das ist etwas, was wir in diesen Tagen tun sollten – sicher noch mehr als sonst.

Ein letztes noch: Wie viel Ungeduld zerstören kann, wissen sicher auch nicht wenige unter uns. Auf meinem Balkon habe ich Blumensamen in Kästen und Kübeln ausgesät. Die ersten zarten Pflänzchen lugen aus der Erde heraus. Was geschähe, wenn ich voller Ungeduld an ihnen zöge, damit sie schneller wachsen? Ich risse sie aus. Ein wenig banal dieses Beispiel, ich weiß. Dennoch: Es ist ein Bild dafür, wie lebens-notwendig Geduld oft ist. Auch für uns und alle, deren Leben wir schützen wollen.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

25. April 2020 · Kategorien: Andacht

Vor dem Supermarkt treffe ich einen Kollegen. Beide tragen wir Mundschutz, ganz vorschriftsmäßig. Seiner hat eine männliche Note, ist dunkelgrau mit hellgrauem Karo, meiner ist so ein weiß-hellblauer, wie er in der Apotheke zu bekommen ist. Beide sehen wir seltsam aus. Und unsere Unterhaltung ist eher so ein Gemurmel hin und her, nicht alles, was der andere hinter dem Mundschutz sagt, können wir gut verstehen. Wenn es nicht einer so bedrückenden Situation geschuldet wäre, wäre es einfach ziemlich komisch. Und weil uns das auch bewusst wird, müssen wir beide ziemlich lachen. Wie ist das mit dem Lachen, der Freude, der Fröhlichkeit in diesen Tagen? Sind sie nicht eigentlich ziemlich unangemessen angesichts des Leids, das so viele Menschen trifft?

Die christliche Tradition kennt das Osterlachen. Die Gläubigen sollten dem Tod und allen seinen Verbündeten ins Gesicht lachen, denn der Auferstandene hatte es ihnen gezeigt, daß sie nicht mehr das letzte Wort haben sollen. Den Kirchenoberen wurden die Geschichten und das Treiben, das die Gläubigen zum Osterlachen bringen sollte, irgendwann zu bunt, und sie verboten es. Schade eigentlich. Gerade in diesen Tagen könnte es so hilfreich sein, das Osterlachen wieder zu entdecken. Nicht nur an Ostern, sondern alle Tage, die wir aus der Hoffnung auf die Auferstehung und die Macht des lebendigen Gottes leben.

Lachen befreit. Das hat wohl jeder schon einmal erlebt. Und vielleicht ist es ja gerade für diese Zeiten gemacht, in denen wir dem Leid in so vieler Gestalt begegnen, aushalten, standhalten müssen, der Unsicherheit, den Unwägbarkeiten, den Ängsten. Und als Christinnen und Christen sicher auch nicht alle Tage wissen, wie wir denn „fröhlich in der Hoffnung“ bleiben, wie es der Apostel Paulus uns mit auf unseren Weg gibt. (Röm 12,12)

Aus der Freude über die Verbundenheit mit dem lebendigen Christus zu leben, sie auszustrahlen und weiterzugeben, ist die Signatur unseres Glaubens, ist, wie Papst Franziskus sagt, der „Personalausweis der Christen“. In dieser Freude geht es nicht um ein leichtfertiges Hinweglächeln oder mangelnde Ernsthaftigkeit. Und ohne Zweifel gibt es das, daß uns kein bißchen nach Freude zumute ist und schon gar nicht nach Lachen. Aber wer erlebt hat, wie ein Lachen von Anspannung und Traurigkeit befreit, den Knoten im Herzen löst und es weit macht, ganz besonders ein gemeinsames Lachen, kann sich vielleicht vorstellen, welche Kraft es entfalten kann. Zu einer Freude, die im Herzen wohnt, die sich ausdrückt in unserem Vertrauen auf Gott, in unserer Liebe und vor allem in unserer Hoffnung. Und dann soll all das jeder sehen, hat Hanns Dieter Hüsch von der verwandelnden Kraft der Freude geschrieben, und „jeder soll nach Hause laufen und sagen, er habe Gottes Kinder gesehen, sie seien ungebrochen freundlich und heiter gewesen, weil die Zukunft Jesus heiße und weil die Liebe alles überwindet.“

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

24. April 2020 · Kategorien: Andacht

Es wird viel gezählt in diesen Tagen: Neuinfizierte, Verdachtsfälle, Verstorbene, Genesene. Für einen angemessenen Umgang mit Corona, für die Risikoabwägung und die Abstimmung der Maßnahmen in allen Bereichen der Öffentlichkeit ist das notwendig. Ohne Frage. Aber hinter jeder Zahl steht das Leben eines Menschen. Noch ist es nicht so, zumindest nicht hier in und um Itzehoe, daß jeder von uns jemanden kennt, der erkrankt oder gestorben ist an Covid-19. Gott sei Dank. Aber jeder, da bin ich sicher, kennt mittlerweile jemanden, der in anderer Weise unter den Lebensbedingungen dieser Zeit leidet. Die junge Mutter, die schwer an Krebs erkrankt ist, und so dringend ein wenig Zeit zum Ausruhen bräuchte. Aber niemand außerhalb ihrer Familie darf für eine Weile mit ihren Kindern spielen, ein Eis mit ihnen essen gehen. Die Familie, die von ihrer sterbenden Mutter und Großmutter nur unter größten Mühen im Seniorenheim Abschied nehmen darf – weil sie besondere Schutzanzüge besorgen können. Meine Freundin in einem Hamburger Seniorenheim, die auf die Isolation und das „Eingesperrtsein“ mit Depression reagiert.

Jesus fragt die zwei Blinden vor Jericho: Was wollt ihr, daß ich für euch tun soll? (Mt 20,32) Diese Frage können wir anderen Menschen genauso stellen. Was kann ich Dir Gutes tun? Womit kann ich Dir helfen? Manches werden wir nicht tun können, was wir so gerne anderen zugute täten. Mein Vater, der auch in einem Seniorenheim lebt, möchte einfach nur besucht werden. Das nicht tun zu können, tut weh. Aber vieles ist auch möglich: Telefonate, viel häufiger als sonst, Mails, Briefe, etwas Liebevolles schicken oder vor die Tür stellen, den Enkelkindern über Videotelefonie vorlesen oder sogar mit ihnen lernen. Die Tochter meiner Freundin in Hamburg ruft sie jeden Abend an und spielt ihr auf dem Klavier etwas vor, singt mit ihr. Eine kleine Freude wenigstens. Und wir haben gestern am Telefon zusammen gebetet.

Was möchtest Du, daß ich es für Dich tue? Was kann ich Dir Gutes tun? Um das bei einem anderen Menschen wahrzunehmen, gerade auch wenn er oder sie es nicht ausdrücklich sagt oder nicht sagen kann, dafür braucht es unser Einfühlungsvermögen, unsere Aufmerksamkeit. Die Mystikerin Simone Weil hat die Aufmerksamkeit, „attente“, als zentrale menschlich-religiöse Grundhaltung angesehen. Besonders Menschen, die leiden und unglücklich sind, „bedürfen keines anderen Dinges in dieser Welt als solcher Menschen, die fähig sind, ihnen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.“ Diese Aufmerksamkeit ist, mit ihren Worten gesagt, „der wesentliche Gehalt der Liebe, der Gottesliebe genauso wie der Nächstenliebe.“ Aufmerksam auf einen anderen zu sein ist Ausdruck der Liebe, sie ist „der Stoff, aus dem die Liebe gemacht“ ist. Und sie wiederum macht es, daß es trotz allem nicht die Zahlen sind, die wir im Sinn haben, sondern die Menschen.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

23. April 2020 · Kategorien: Andacht

„Zusammenhalt hat viele Gesichter.“ So steht es auf großen Plakaten in der Stadt. Es sind Plakate eines Lebensmittel-Discounters. Aber die Worte leihe ich mir einfach mal. Unter diesen Worten sind auf dem Plakat etliche Gesichter abgebildet, in der Mitte ein großes „Danke“. Stellvertretend für so viele Menschen, die jetzt in Itzehoe zusammenhalten, gibt es auf unserer Website heute dieses Foto:

Es zeigt das fröhliche Herren-Team der „Terrine to go“. Jeden Dienstag und Donnerstag bringen Paul Kah, Lutz Bitomsky, Nils Petersen und Peter Krohn Menschen, die vor Corona Gäste der „Terrine“ der Innenstadtgemeinde waren, und anderen Itzehoern über 75 ein leckeres Essen, gekocht beim Chili Event House. An jedem Dienstag und Donnerstag ist das ein in mehrfacher Hinsicht stärkendes Lebenszeichen für alle Beteiligten. Finanziert wird das kostenlose Angebot in großzügiger Weise vom Lions Club Itzehoe und dem Rotary Club Itzehoe. Ein großes „Dankeschön“ dafür!

Der Zusammenhalt in Itzehoe hat noch viel mehr Gesichter: Zum Beispiel diejenigen all der Näherinnen und Näher, die dem Klinikum zweitausend Masken angefertigt haben. Die der Pfadfinder mehrerer Kirchengemeinden, die Einkaufshilfsdienste anbieten. Die der Bläserinnen und Bläser, die jeden Abend kurz nach 18.00 Uhr vom Turm von St. Laurentii ein musikalisches Hoffnungszeichen setzen. Die der unzähligen Menschen, die privat, nachbarschaftlich, freundschaftlich helfen. Allen gebührt großer Dank dafür!

Und es ist gut zu sehen, daß viele Menschen genau das zum Zusammenhalt beitragen, was sie richtig gut können: Ideen entwickeln, organisieren, kochen, nähen, ein Instrument spielen, singen, filmen, zuhören, erzählen, schreiben, andere stärken. Im 1. Petrusbrief heißt es: Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes. (1. Petr 4,10) Wo das geschieht, hat der Zusammenhalt noch mal so viele Gesichter. Und vor allem zufriedene, frohe, erfüllte. Trotz allem. Danke dafür!

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

22. April 2020 · Kategorien: Andacht

„Haben Sie so etwas schon einmal gemacht?“ Mit dieser Frage werde ich begrüßt, als ich heute morgen vor dem St. Josef Seniorenheim der Caritas ankomme. In Nicht-Corona-Zeiten feiern wir am vierten Mittwoch eines jeden Monats dort einen evangelischen Gottesdienst. Im Andachtsraum. Heute hat Klaus Schneider, der uns musikalisch begleitet, sein Keyboard im Innenhof des Heims aufgebaut, der Haustechniker hat mir ein Mikro hingestellt. Einige Bewohnerinnen trauen sich knapp vor die Tür, in großem Abstand, etliche sitzen innen im großen Flur oder im Essraum. Nein, so etwas habe ich tatsächlich noch nie gemacht: Gottesdienst von draußen nach drinnen. Corona macht es nötig. Corona macht es aber auch möglich. Daß wir neue Wege suchen, wie wir uns begegnen, füreinander da sind, zusammen Gottesdienst feiern.

Auf neuen Wegen sind wir alle unterwegs, keinesfalls nur beim Feiern der Gottesdienste. Den BewohnerInnen des Heims fehlen die regelmäßigen Besuche, manche tragen schwer an den Veränderungen, demenzkranke Menschen können das, was passiert, oft gar nicht mehr einordnen. Die MitarbeiterInnen wissen um ihre große Verantwortung, loten immer wieder aus, was möglich ist und was (noch) nicht wieder sein darf. In all dem braucht es etwas, was Halt gibt und Sicherheit. Wir singen vertraute Lieder, Paul Gerhardts „Befiehl du deine Wege“, und wir beten den 23. Psalm: Der Herr ist mein Hirte. Dreitausend Jahre alte Worte, in denen die Höhen und die Tiefen eines Menschenlebens eingezeichnet sind, in denen wir alle unsere Lebenserfahrungen, die guten und schweren, die Fülle und den Mangel, die Freude und die Not, die Zuversicht und auch die Angst wiederfinden können. Und die die vier Worte enthalten, von denen der Philosoph Immanuel Kant sagte, er habe in keinem Buch so wesentliche Worte gefunden wie diese: Du bist bei mir, Gott.

Etliche der Frauen und Männer, die heute zusammen Gottesdienst gefeiert haben, haben den Psalm auswendig gebetet. Solche alten vertrauten Worte zu haben, im Herzen, by heart, kann inneren Halt geben, Kraft und Ruhe, gerade wenn sich so viel ändert um uns herum, unvertraut, bedrängend und beängstigend ist. Versuchen Sie es einfach einmal: Beten Sie einen Psalm, den Sie vielleicht als Konfirmandin gelernt haben, laut oder leise, zu Hause oder beim Anstehen vor dem Geschäft. Oder lernen Sie einen auswendig: Den 23. oder auch den 121. Psalm: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Mein Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Alte Worte als fester Halt auf neuen Wegen. Alte Worte vom festen Vertrauen: Du bist bei mir, Gott neu gesprochen, neu gebetet, neu bewährt.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

20. April 2020 · Kategorien: Andacht

„Fürchtet euch nicht“, sagt der Engel zu den Frauen, als sie am Ostermorgen zum Grab Jesu kommen und es leer vorfinden. (Mt 28,5) „Seid getrost, fürchtet euch nicht“, so heißt es als Aufforderung an alle Gläubigen beim Propheten Jesaia. (Jes 35,4) Gar nicht so leicht, dieser Aufforderung nachzukommen. Grundsätzlich nicht und in diesen Tagen noch weniger. Es gibt erste Hoffnungszeichen beim Verlauf der Pandemie zumindest in Deutschland, erste Lockerungen im Alltagsleben. Aber es gibt auch Gründe zur Furcht. Ich kenne niemanden, der sich nicht zumindest ein klein wenig fürchtet vor den Auswirkungen dieser Zeit, vor den psychischen Folgen für viele Menschen, vor den zerstörten wirtschaftlichen Existenzen, auch vor europa- und weltweiten politischen Folgen. Unsere Welt verändert sich in nicht gekannter Weise, ohne daß wir auch nur ein Bild davon haben, wie sie nachher aussehen wird.

Was hilft gegen die Furcht? Da ist zum einen die Erfahrung von Solidarität und Verbundenheit. Daß in der Krise Menschen zusammenhalten, sich füreinander einsetzen, gemeinsam versuchen einen Weg hindurch zu finden. Ob das nun die ganz großen Solidaritäts-Aktionen wie das Konzert „One world together – at home“ sind oder die Bilder der kleinen Luz aus der Waldstraße in Itzehoe, mit denen sie Geld für Menschen sammelt, die sonst zur „Tafel“ gehen. Oder die zahllosen anderen Unterstützungsaktionen. Zur Solidarität gehört auch die Wahrnehmung von Verantwortung füreinander. Durch Hilfe, aber z.B. auch durch das Tragen von Masken, auch ohne Pflicht, einfach freiwillig verantwortlich. Da geht in Itzehoe noch mehr. Und es gibt so viele Menschen, die jetzt Masken nähen. Die sehen dann auch noch witzig aus. Und bringen ein Lächeln in den Tag. Auch das hilft gegen Furcht. Ein klein wenig zumindest.

Und dann hilft noch etwas gegen Furcht: Das Vertrauen auf Gottes Nähe und Begleitung auch und gerade in den heftigen Zeiten des Lebens, also jetzt. Der Beter des 23. Psalms, der seit Tausenden von Jahren Menschen Trost an schweren Tagen gegeben hat, drückt dieses Vertrauen so aus: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.“ Ein solches Wort zu beten, es ins Herz zu nehmen, kann wie eine Medizin für die Seele wirken, verschrieben gegen die Furcht. Versuchen Sie es einmal.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

PS: An der Kirchenstraße vor St. Laurentii wächst ein „Baum der Ermutigung und Hoffnung“, an dem so manche Trost- und Mutworte „blühen“. Gerne können sie sich dort welche mitnehmen. Für sich und für andere zum Weitergeben!

17. April 2020 · Kategorien: Andacht

Jeden Abend kurz nach 18.00 Uhr, wenn die Glocken verklungen sind, spielen sie auf dem Turm von St. Laurentii, 80 m über Itzehoe: Die Bläserinnen und Bläser des Posaunenchors der Innenstadtgemeinde. Bei schönstem Frühlingswetter sitzen Menschen in der Kirchenstraße auf den Bänken oder der Kirchenmauer – mit ausreichendem Abstand, versteht sich – und freuen sich an den Klängen. Und auch weiter weg sind dank der Höhe des Turms die Trompeten und Posaunen gut zu hören. Für viele Menschen ein Hoffnungszeichen.

Zwei Choräle wurden seit Ostern jeden Abend gespielt: „Christ ist erstanden“ und das schöne, ursprünglich aus Afrika stammende „Er ist erstanden, Halleluja“. An manchen Abenden sieht man auch den einen oder die andere die Lippen bewegen zu den Trompetenklängen, vorsichtig wird zu der lebensvollen Melodie mitgesungen: „Er ist erstanden, Halleluja. Jesus bringt Leben, Halleluja“. Hoffnungsvolle Worte. Auch sonst, aber jetzt noch viel mehr. Wo wir uns so sehr nach Leben, ja, nach einer Auferstehung sehnen, nach Befreiung aus all dem, was das Leben hemmt und bedrängt, was Angst macht, krank, traurig, einsam.

Hoffnung auf Auferstehung bezieht sich nicht nur auf die „Zeit“ nach unserem Tod. Auch wenn das oft so verstanden wird. Auferstehung kann eine Erfahrung mitten in diesem Leben sein. Wenn das Leben sich wieder Bahn bricht, nach Krankheit, Traurigkeit, Einsamkeit, wenn Freude den Kummer ablöst, wenn ein Lächeln, ein Wort, eine Geste von Liebe, Freundschaft, Verbundenheit erzählen, wenn etwas neu beginnt und in allem die Kraft des lebendigen Gottes spürbar ist in uns. Die Dichterin Marie-Luise Kaschnitz umschreibt diese Erfahrung so: „Manchmal stehen wir auf. Stehen wir zur Auferstehung auf. Mitten am Tage. Mit unserem lebendigen Haar. Mit unserer atmenden Haut… (und sind) vorweggenommen in ein Haus aus Licht.“

Hoffnung braucht Zeichen, Hoffnung braucht Bilder – und einen guten Grund: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ (Joh 14,19) So ist es uns von Jesus Christus zugesagt. Grund genug, um die Hoffnung zu bewahren.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

16. April 2020 · Kategorien: Andacht

„Wir machen das Beste daraus.“ Diesen Satz höre ich in diesen Tagen sehr oft. Und von den dazugehörigen Erfahrungen höre ich: Familienangehörige, die sonst durchaus mehr Distanz gehalten haben, rücken sich wieder näher. Die Jüngeren achten darauf, daß die Älteren nicht allzu oft hinausgehen und einkaufen, indem sie diese Aufgabe für sie übernehmen. Das „Beste daraus machen“ tun auch diejenigen, die jetzt neue Kommunikationswege für sich und die Familie entdecken, per Videotelefonie einander nahe sind oder wieder einmal einen Brief schreiben, handschriftlich vielleicht sogar. Die die Zeit nutzen für das, was ihnen Freude macht, für den Garten, die bisher ungelesene Biographie, die Bildbearbeitung am PC oder das Nähen, z.B. der vielfältigen kreativen Mundschutzmasken. Oder die einfach in dieser Zeit erkennen, was wirklich wichtig ist: Die Familie, die Freunde, das Verständnis füreinander, die gemeinsame Freude, Lachen und Humor, das gemeinsame Aushalten von Traurigkeit, daß man sich aufeinander verlassen kann. Die Freundschaft, das Vertrauen, die Liebe.

Im Römerbrief des Paulus heißt es: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. (Röm 8,28) Vielleicht ist das mit diesen und auch anderen Erfahrungen so, die aus einer schweren und bedrängenden Situation erwachsen, daß sie uns jetzt oder später zum Besten dienen? Bei nicht wenigen Erfahrungen, auch meinen eigenen, traue ich mich, das so zu sagen, zu denken, zu glauben. Auch weil ich erlebt habe, daß es gerade auch die sehr schweren Erfahrungen in meinem Leben waren, die mich verändert und verwandelt haben, aus denen Gott für mich hat Gutes und Bestes erwachsen lassen.

Aber da gibt es auch die Erfahrungen, die einfach nur traurig machen, die Vollmundigkeit dieses Glaubenssatzes zumindest im Moment des Erlebens in Frage stellen. Eine sterbende Frau wird im Klinikum vor die Alternative gestellt, ob ihr Mann oder ihre Tochter zuletzt noch zu ihr kommen darf. Die Freundin einer älteren Frau stirbt in einem Seniorenheim. Weder durfte sie sie im Heim zuletzt besuchen noch darf sie zur Trauerfeier. Und sie sagt, ihre Freundin sei an „Einsamkeit“ gestorben. Mein Vater ist im Krankenhaus. Wenn er in das Seniorenheim, in dem er lebt, zurückkehrt, muss er 14 Tage in Quarantäne in seinem Zimmer. Schon jetzt kann er nicht mehr verstehen, warum er keinen Besuch bekommt. Ich mag mir nicht ausmalen, welche Folgen die Quarantäne für ihn haben wird.

Nicht wenige Menschen wissen im Moment weder, wie sie aus dieser Situation „das Beste machen“ können noch können sie sich vorstellen, daß sie ihnen zum „Besten dienen“ könnte, morgen oder eines Tages. Viele erleben Existenzangst, Isolation, Depression, Hilflosigkeit, einsame Abschiede. Und nicht alles wird sich zumindest für die, die es jetzt erleiden, „zum Besten auflösen“. Das ist schwer auszuhalten. Der Satz des Paulus, der mir selbst für mein Leben so wichtig ist – angesichts dieser Erfahrungen bleibt mir nur, ihn in aller Vorsicht immer mal wieder nachzusprechen und innerlich durchzubuchstabieren. Ob er zumindest auch jetzt eines bleibt: Ein Satz der Hoffnung.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk

15. April 2020 · Kategorien: Andacht

Über Whatsapp und andere digitale Medien wurden zu Ostern viele Bilder verschickt als Zeichen der Hoffnung, der Zuversicht, den Empfängern zur Freude. Ein Bild habe ich mehrfach von Freunden geschickt bekommen; es scheint in diesem Jahr zu Ostern als besonders passend empfunden zu werden: Das Bild des Auferstandenen auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Der Altar stammt aus einer Zeit, in der in Mitteleuropa eine Seuche umging, das sogenannte „Antoniusfeuer“, die Tausende von Menschen das Leben kostete. Erst im 17. Jahrhundert erkannte man, daß ein Getreidepilz, das giftige Mutterkorn, Auslöser der Krankheit war.

Wer auf dem Altar, der heute im Musee d’Unterlinden in Colmar steht, den Gekreuzigten ansieht, sieht all den Schmerz der Menschen damals (und sicher heute auch noch) in dem leidenden und sterbenden Christus widergespiegelt. Leidvoller und drastischer ist sein Leiden nur selten dargestellt worden. Strahlender und heller ist aber auch der Auferstandene kaum einmal dargestellt worden. Das Hoffnungsbild für alle, die leiden und sterben – daß Christus der triumphierende Sieger über den Tod ist. Und allen, die jetzt leiden, als Erstling der Entschlafenen (1. Kor 15,20) in das Licht der Auferstehung vorangeht.

Nur eines lässt sich in allem Leuchten leicht übersehen: Dass der Auferstandene noch immer der Gekreuzigte ist. Dass er noch immer die Wunden an Händen, Füßen und an der Seite trägt. Aber sie sehen verwandelt aus: Sie leuchten. Auch bei uns: Die Wunden werden bleiben. Die Wunden der Ärzte und Ärztinnen, der Pflegekräfte, die Entscheidungen über Leben und Tod treffen müssen. Die Wunden der Familien, in denen vertraute Menschen sterben. Und das auch noch, ohne daß sie Abschied nehmen können. Die Wunden der Frauen und Kinder, die in diesen Tagen der Isolation Gewalt erfahren. Sie bleiben auch nach Ostern. Aber sie stehen in einem anderen Licht. In dem der Hoffnung auf Verwandlung und Neubeginn. Und es kann geschehen, daß auch unsere Wunden sich verwandeln, uns verwandeln. Von dieser Hoffnung zumindest kündet Ostern. Und erzählt das Bild des Auferstandenen von Matthias Grünewald.

Pastorin Dr. Wiebke Bähnk